
Interview: Warum auch Prothetiker Myoarthropathien im Blick haben sollten
Myoarthropathien – kurz MAP – nehmen vor allem in Leistungsgesellschaften zu. Denn emotionaler Stress ist eine der Ursachen für Kieferpressen und Zähneknirschen sowie für die dadurch entstehenden Beschwerden von Kaumuskulatur und Kiefergelenken. Auch die zahnärztliche Prothetik sollte das Phänomen stets im Auge behalten. Warum, das erfahren Sie in diesem Interview mit Dr. Johannes A. Müller vom Universitären Zentrum für Zahnmedizin (UZB) Basel/Schweiz.
Herr Dr. Müller, in welchem Bereich sind Sie am UZB tätig?
Dr. Müller: Ich bin an der Klinik für Rekonstruktive Zahnmedizin tätig. Mein Schwerpunkt ist also die zahnärztliche Prothetik.Am universitären Zentrum für Zahnmedizin Basel (UZB) behandeln Sie auch das Thema Myoarthropathien. Was genau heisst das, und wie verbreitet ist dieses Krankheitsbild?
Dr. Müller: Dieser Bereich umfasst die Diagnostik und Behandlung schmerzhafter Kaumuskeln und/oder Kiefergelenke sowie Einschränkungen der Unterkieferbeweglichkeit, vor allem der Kieferöffnung. Diese Beschwerden entstehen häufig aufgrund einer Überbelastung durch Kieferpressen und/oder Zähneknirschen, also durch Bruxismus. Von allen Beschwerdekomplexen in der Zahnmedizin stehen MAP nach Karies und parodontalen Erkrankungen an dritter Stelle. Am UZB haben wir unter Leitung von Professor Türp ein spezialisiertes Kompetenzzentrum Orofazialer Schmerz, in dem diese Probleme professionell diagnostiziert und therapiert werden.
Nimmt das Phänomen MAP zu?
Dr. Müller: Bei MAP spielt auch der Stress im Alltag eine Rolle. Deswegen wird dieses Phänomen vermehrt wahrgenommen – jedenfalls in den Ländern, die von einer Leistungsgesellschaft mit hohem Erfolgsdruck geprägt sind. Dazu gehört unter anderem auch die Schweiz. Für eine Zunahme als solche gibt es aber keine Belege.
Inwiefern können sich Planung und Herstellung von abnehmbarem Zahnersatz auf das Krankheitsbild MAP auswirken?
Dr. Müller: Abnehmbarer Zahnersatz löst normalerweise keine MAP aus. Der Zahnersatz müsste schon grob fehlerhaft hergestellt sein und würde in diesem Fall vom Patienten nicht toleriert werden.
Umgekehrt kann abnehmbarer Zahnersatz sehr wohl eine präventive bzw. therapeutische Wirkung im Hinblick auf MAP ausüben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich der Zahnverlust nicht nur auf die Molaren erstreckt, sondern auch die Prämolaren einbezieht. Fühlen sich die betroffenen Patienten funktionell eingeschränkt durch den Verlust an Stützzonen im Seitenzahnbereich, so kann Zahnersatz indiziert sein, um eine stabile Bisssituation zu erreichen und der Entwicklung von MAP-Symptomen vorzubeugen.
Können Sie Zahnärzten und Zahntechnikern konkrete Tipps für die Planung von abnehmbarem Zahnersatz bei MAP geben?
Dr. Müller: Zahnärzte und Zahntechniker sollten keine definitive prothetische Versorgung planen, solange Beschwerden im Sinne einer MAP vorhanden sind. Wenn ein Patient total verspannt ist und keine reproduzierbare Kieferrelationsbestimmung möglich ist, wird zunächst eine Schienentherapie, in der Regel kombiniert mit weiteren Massnahmen – z. B. Entspannungstherapie und möglicherweise Physiotherapie – vorgenommen. Grundsätzlich sollten Patienten erst dann endgültig prothetisch versorgt werden, wenn vorhandene MAP zumindest unter Kontrolle sind. Eine vollständige Beseitigung bestehender MAP ist häufig nicht möglich. Stattdessen wird – wie auch bei chronischen Rückenschmerzen – mindestens eine Linderung der Beschwerden angestrebt.
Herr Dr. Müller, vielen Dank für dieses Interview.
Zur Person:Dr. Johannes A. Müller ist Zahnarzt in der Abteilung für Rekonstruktive Zahnmedizin am Universitären Zentrum für Zahnmedizin (UZB) Basel/Schweiz.
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